04.März 2019
veröffentlicht von: Andrea Böttcher,
Kinderkrankenschwester
Fachkraft für Stillförderung, Laktationsberaterin, Stillbeauftragte für die Klinik
Referentin für Stillen und Säuglingsnahrung
Schlafberaterin 1001 Kindernacht
In vielen Familien ist es immer wieder Thema: Einschlafen. Ganz oft prallen hier regelrecht zwei Fronten aufeinander: die Ansichten von Eltern und Kindern, aber auch von Eltern untereinander oder gar verschiedene Denkweisen unterschiedlicher Generationen geben dieser Thematik immer wieder Zündstoff.
Die evolutionäre Verhaltensforschung hat da eine ganz klare Position zu: Kein Kind muss erst einmal einschlafen lernen, das können sie von ganz alleine, sobald einige Bedingungen erfüllt sind.
Welche Bedingungen fragst Du Dich vielleicht jetzt. Nun, die Natur macht da keine Kompromisse. An erster Stelle steht immer die Erhaltung des eigenen Lebens und der Art, alles andere kommt später. Schlafen ist für jedes Lebewesen ein potenzielles Risiko. Erst müssen alle "Sicherungsmaßnahmen" eingeleitet werden, bevor das "Säugetier Mensch" auch sicher schlafen und dabei überleben kann.
Folgende Bedingungen sind von immenser Bedeutung, um Einschlafen zu können:
- körperliche Bedingungen müssen erfüllt sein: Ein Mensch muss müde, satt, weder hungrig noch durstig sein und er muss es warm haben.
- Entspannung - diese kann sich nur einstellen, wenn wirklich alle körperlichen Bedürfnisse erfüllt sind und wir uns sicher und geborgen fühlen.
- Selbstbestimmtheit - jeder Mensch hat individuelle Bedürfnisse, die er benötigt um sich wohl zu fühlen und entspannt zu sein. Hinzu kommt ein selbstbestimmtes Schlafverhalten. Herbert Renz-Polster hat es so schön beschrieben: "Wenn Kinder müde werden, so tun sie das in Wellen: Etwa alle 50 Minuten tritt ein kleines Kind tagsüber von einer aktiveren Phase in eine beruhigte Phase ein. Das Tor zum Einschlafen öffnet sich sozusagen in Wellen. Bekommt es mit einer Müdigkeitswelle nicht die Kurve in den Schlaf, ist es nach wenigen Minuten schon wieder munter. Kann das Kind selbst bestimmen, wann es auf den Schlafzug aufspringen will, so sucht es sich in seiner „Tiefphase“ vielleicht die Brust oder sonstwie die Nähe einer vertrauten Person."
Gehen wir also noch einmal zurück auf unsere Kinder. Die Bedingungen sind nämlich bei Erwachsenen genau gleich wie bei den Kindern. Schläfst Du nicht auch lieber neben einem liebevollen Menschen ein, als alleine - satt und zufrieden in einem bequemen und warmen Bett? Da geht es Dir nicht anders als Deinem Kind. Ein Kind benötigt aus entwicklungsphysiologischer Sicht aber noch deutlich mehr eine Einschlafbegleitung: denn ohne den Schutz eines Erwachsenen einzuschlafen stellte in der frühen Menschheitsgeschichte bereits eine tödliche Gefahr dar. Zu hoch war das Risiko zu erfrieren, von einem Tier verschleppt oder gefressen zu werden oder einfach in der Eile vergessen zu werden, wenn die Familiensippe weiterzieht.
Und weil ich Herbert Renz-Polster wirklich gerne zitiere: "Der ernüchternde Befund der Evolutionsbiologie lautet also, dass kleine Kinder keine selbstständigen Schläfer sind. Und da Kinder bis weit in das Kleinkindalter hinein schutzlos aber weiterhin lecker sind, gehört es auch nicht zum natürlichen Lernprogramm eines kleinen Kindes selbstständig schlafen zu lernen. Kleine Kinder lernen von sich aus laufen und sie werden von sich aus sauber, aber sie werden nicht aufgrund eines natürlichen Programms zu selbstständigen Schläfern."
Die Natur lässt das, was funktioniert und sich bewährt hat unverändert fortbestehen. Egal ob wir bis zu den Neandertalern 800.000 Jahre zurück gehen oder uns im Jahre 2019 befinden das instinktive Programm, mit denen die Kinder auf die Welt kommen hat sich nicht oder kaum verändert, denn es funktioniert. Wir Menschen leben schließlich immer noch.
Aber unsere Babys wissen bei Geburt nichts von Kinderbetten, elektrischen Babyschaukeln, dem Teddybär der Pseudoherztöne erzeugt. das es Babyfone gibt und durch unsere tollen warmen Kinderzimmer keine wilden Tiere stromern die so ein Baby klein, süß und zum anbeißen finden.
Unsere Kinder müssen das alles erst lernen, und das braucht Zeit. Jedes Kind wird in seinem eigenen Tempo selbstständig. Und irgendwann kommt die Zeit, in denen sich die Kinder abnabeln und uns Stück für Stück immer weniger brauchen. Ein Kind, das sich bei seinen Eltern immer sicher, geborgen und behütet gefühlt hat, macht diesen Schritt oftmals früher und auch in Situationen, in denen man diese Reaktion am wenigsten erwartet hat.
Wir wünschen uns doch alle Kinder, die stark und selbstbewusst durch das Leben gehen. Ist das nicht unser Bestreben, ein Kind das seinen eigenen Weg geht, seine eigenen Wünsche erkennt und äußert und dann auch tolerant und offen anderen Menschen gegenüber ist.
Und mal ehrlich genau das machen unsere Babys doch eigentlich schon als Neugeborene. Sie melden Ihre Bedürfnisse an. Sie versuchen non-verbal und wenn es nicht klappt verbal durch schreien mit uns zu kommunizieren. Diese frühen Zeichen erkennen wir aber nur, wenn wir uns im direkten Kontakt mit unseren Kindern befinden.
Entscheidend für das Einschlafverhalten eines Menschen, in unserem Fall für ein Kind, ist also auch eine gute und sichere Kommunikation zwischen Eltern und Ihren Kindern und genau das stellt uns Menschen immer wieder vor Herausforderungen.
Liebe Grüße und bis bald,
Zitat Quelle: Herbert Renz-Polster, https://www.kinder-verstehen.de/mein-werk/artikel/schlafprobleme-aus-sicht-der-evolution/
Copyright Andrea Böttcher 2019