3. Mai 2019
veröffentlicht von: Andrea Böttcher,
Kinderkrankenschwester
Fachkraft für Stillförderung, Laktationsberaterin, Stillbeauftragte für die Klinik
Referentin für Stillen und Säuglingsnahrung
Schlafberaterin 1001 Kindernacht
Immer wieder höre ich von Müttern, aber auch von Fachpersonal die Wort: "Das Kind ist einfach ein bisschen trinkfaul" , oder ähnliche Formulierungen. Und ehrlich gesagt: es regt mich auf.
Überlegen wir doch mal kurz, was das eigentlich bedeutet: Trinkfaul...
Der Duden definiert "faul" wie folgt: abgeneigt zu arbeiten, sich zu bewegen, sich anzustrengen; nicht gern tätig; bequem, träge - es ist ein sehr abwertender Begriff
Und dann wird ein neugeborenes Kind als Faul bezeichnet?
Ein Kind, das gerade die Strapazen einer Geburt durchlebt hat, die für ein Kind vermutlich nicht minder anstrengend ist als für seine Mutter. Ein Baby, das sein gesamtes Körpersystem von jetzt auf gleich umstellen muss, um eigenständig zu überleben. Ein Baby, das einen angeborenen Überlebensinstinkt hat und genau schauen muss, wofür und wie viel Energie genutzt werden muss, um den enormen Energiebedarf zu decken.
Ganz klar: Kein Baby dieser Welt ist faul!
Ein Baby wird immer versuchen mit möglichst wenig Energieaufwand seinen Energiebedarf zu decken. Nur so kann es sein Überleben sichern. Auch aus diesem Grund suchen die Kinder direkt nach Geburt den direkten und nackten Hautkontakt zu seiner Mutter. Dieser Hautkontakt hilft dem Kind seine Atmung, Temperaturregulation und das Herz-Kreislaufsystem zu unterstützen, Stress wird abgebaut und Schmerzen gemindert. Kurz um, alles was dem Körper Energie raubt, auch dadurch das ein Kind schreien muss, wird mit Hilfe reguliert. Ehrlich gesagt finde ich das ziemlich clever und ein sehr intelligentes Verhalten und nicht faul. Andererseits sagt der Volksmund ja auch: "Wer aufräumt ist zu faul zum suchen".
Aber mal ehrlich, auch wenn die meisten es ja gar nicht wörtlich meinen, was suggeriert dieses Wort denn den Eltern, wenn ein Arzt, die Hebamme, Pflegepersonal einer Mutter sagt das eigene Kind sei faul. Wertschätzende Kommunikation miteinander sieht anders aus.
Hintergründe die Hinter dem Begriff "Trinkfaul" stehen können, sind z.B.:
-
ineffektives Saugverhalten des Kindes
- Saugschwäche
- "Saugverwirrung"
- Brustverweigerung
- unzureichende Milchbildung der Mutter
- sehr starker Milchspendereflex
- Erkrankungen des Kindes: z.B. bei Babys: Neugeborenengelbsucht, Anpassungsstörungen nach Geburt
- anatomische Besonderheiten, die das Saugen und die Mundmotorik einschränken z.B. Zungenbändchen, Lippenbändchen, Spaltbildungen
- unzureichende Gewichtsentwicklung des Kindes
- Schmerzen, Stress
Keiner dieser Punkte beinhaltet, mal überspitzt gesagt: das Kind dreht sich schreiend und schmollend weg, weil es bewusst nicht Saugen und keine Nahrung aufnehmen will.
Ein Kind im ersten Lebensjahr ist kognitiv überhaupt nicht in der Lage, hier eine bewusste Entscheidung zu treffen und damit vielleicht auch noch irgendjemanden zu ärgern.
Für Eltern bedeutet das einmal genau zu hinterfragen, was "Fachpersonal" da von sich gibt und mit welchem Hintergrund. Alle oben aufgeführten Punkte schränken ein Kind in seiner Entwicklung langfristig ein und können und sollten durch entsprechende Unterstützung und Beratung behoben bzw. bei Bedarf behandelt werden.
Hier liegt keine "Schuld" beim Kind, sondern es sind angeborene Faktoren die es behindern oder äußerliche Einflüsse. Ein Baby holt sich das was es braucht: mit anfgangs zarten Signalen, die dann immer energischer und lauter werden. Es liegt an uns Erwachsenen, diese Signale dann auch zu erkennen, richtig zu deuten und bedürfnisorientiert darauf zu reagieren.
An alle Fachpersonen habe ich die Bitte: Überlegt Euch was ihr meint und wie Ihr das Eltern an die Hand gebt. Eine wertschätzende, tolerante und offene Kommunikation ist das A und O in der Elternberatung.
Wir alle müssen viel mehr darüber nachdenken, was wir sagen und wie wir es sagen
- auch wenn wir über ein Baby sprechen.
Liebe Grüße und bis bald,
Copyright 2019